Kein Atom-Freigabemüll nach Maulbronn!


10.2.25
Pressemitteilung
Zur Sondersitzung des Kreistags des Enzkreises am 10.2.25

Auch leicht radioaktiver Müll muss langfristig gesichert werden
Als Bürgerinitiativen, die sich seit weit über 10 Jahren mit dem Thema der Radioaktivität beim Freigabemüll aus Atomanlagen befassen, erleben wir bei jeden Deponie-Standort neu, dass mit falschen Karten gespielt wird. Es wird mit Begriffen getrickst, es werden falsche Vergleiche angestellt und falsche Behauptungen aufgestellt.

Da sich oben genannte Verzerrungen auch aktuell in den Diskussionen um die Deponie Hamberg oberhalb von Maulbronn wiederholen, möchten wir anlässlich der heutigen Kreistagssitzung einige Fakten klarstellen.
In § 3 „Begriff der radioaktiven Stoffe“ des Strahlenschutzgesetzes heißt es:
„ Die [Radio-]Aktivität oder spezifische Aktivität eines Stoffes kann im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 außer Acht gelassen werden, wenn dieser nach diesem Gesetz oder einer auf Grund dieses Gesetzes durch die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassenen Rechtsverordnung […] soweit es sich um einen im Rahmen einer genehmigungspflichtigen Tätigkeit nach diesem Gesetz, dem Atomgesetz oder nach einer auf Grund eines dieser Gesetze erlassenen Rechtsverordnung anfallenden Stoff handelt, festgelegte Freigabewerte unterschreitet und der Stoff freigegeben worden ist,“
Das ist also eine rein formale Einordung des Gesetzgebers, Radioaktivität unter einem gewissen Schweregrad juristisch als unerheblich zu betrachten.
Die Radioaktivität verschwindet damit nicht, sie ist physikalisch weiter vorhanden und biologisch weiter wirksam.
Auch den § 31 „Freigabe radioaktiver Stoffe; Dosiskriterium“ der Strahlenschutzverordnung sollte man genau lesen, dort heißt es: „Nur nach einer Freigabe dürfen als nicht
radioaktive Stoffe verwendet, verwertet, beseitigt, innegehalten oder an einen Dritten weitergegeben werden: 1. radioaktive Stoffe, …“. Das heißt: radioaktive Stoffe dürfen als Folge der Freigabe juristisch „als nicht radioaktive“ Stoffe behandelt werden. Also: juristisch nicht mehr radioaktiv heißen, obwohl physikalisch weiter radioaktiv. Wer also bei Freigabematerial davon spricht, dieses sei nicht radioaktiv, ohne deutlich zu machen, dass das nur für die juristische Einordnung gilt, derjenige versucht zu überrumpeln.
Sievert / Milisievert / Mikrosievert ist kein physikalischer Messwert.
Es gibt auch kein Messgerät für Sievert, auch wenn unablässig der Eindruck vermittelt wird, beim „Freimessen“ würde man Mikrosievert (μSv) messen oder zumindest messen können.
Wer so tut, als könne man das, hat entweder nichts verstanden oder will in die Irre führen.

Erstens ist Sievert eine rechnerisch abgeleitete Größe, und zweitens bezieht sie sich bei der Frage der Freigabe nicht auf die Emissionen des Materials, sondern auf die davon ausgehenden biologischen Wirkungen. (Anmerkung: wenn z.B. Geigerzähler einen Messwert in z.B. μSv/h anzeigen, dann ist das eine im Gerät vorgenommene Umrechnung der dortigen Strahlung auf die Belastung eines dort stehenden, typischen Menschen, also selbst unter der Annahme einer lokalen Wirkung keine Messung von Sievert, sondern eine vereinfachte Hochrechnung. Und diese Situation ist nicht auf die Freigabe übertragbar).
Als Grenze der juristischen Relevanz wird eine zusätzliche jährliche Strahlenbelastung (= Risiko der Schädigung durch Strahlen) von bis zu 10 μSv pro potenziell betroffenem Mensch angenommen.
Also zusätzlich, damit sind gerne zur Relativierung genutzte Vergleich mit der „natürlichen“ Strahlenbelastung irreführend, da man diese ja sowieso erleidet. Die 10 μSv durch die künstlich erzeugte Strahlung aus dem Atomanlagen-Schutt kommt noch obendrauf.
§ 31, Absatz 2 der Strahlenschutzverordnung lautet: „Dosiskriterium für die Freigabe ist, dass für Einzelpersonen der Bevölkerung durch die freizugebenden Stoffe und Gegenstände nur eine effektive Dosis im Bereich von 10 Mikrosievert im Kalenderjahr auftreten kann.“
Auch Vergleiche mit freiwillig in Kauf genommenen zusätzlichen Strahlenbelastungen wie beim Fliegen sind nicht angebracht. Denn die bis zu 10 μSv pro Person zusätzlich in der allgemeinen Bevölkerung sind weder freiwillig noch könnte man dieser Belastung aus dem Weg gehen, da man auf unterschiedlichste und im einzelnen nicht erkennbare Weise davon getroffen wird.
Es ist geradezu absurd, wenn Dezernent Stephan vom SWR kürzlich zitiert wird, es handele sich angeblich um Material „ohne Strahlenbelastung“, und zwei Sätze später zitiert wird, „auf einem Flug nach New York bekomme man die zehnfache Strahlendosis ab“. Dumm gelaufen, wenn das Tricksen so leicht auffällt.
Unfassbar zynisch ist der Vergleich mit der Stuttgarter Fußgängerzone, der Königstraße.
In skandalöser Weise wurden dort 30.000 m² besonders stark belasteteter Granit aus Flossenbürg verlegt, der hochgerechnet insgesamt wohl gut 150 kg Uran und gut 100 kg Thorium enthält und daraus auch Radon ausgast, mit Strahlenbelastung insbesondere für die Menschen, die dort arbeiten. Das kann doch keine Rechtfertigung für eine Strahlenbelastung anderenorts sein.
Beim „Freimessen“ als Grundlage der „Freigabe“ werden hoch komplexe Hypothesen angenommen, auf welchen Pfaden ein Mensch in seinem Lebensumfeld durch Direktstrahlung und vor allem durch Aufnahme von radioaktiven Partikeln in den Körper von dem zu beurteilenden Material betroffen sein könnte. In diese den amtlichen Vorgaben
zu Grunde liegenden Berechnungen gehen u.a. z.B. die Pfade Staub, Deponie-Sickerwasser, Ackerpflanzen ein.
Aus Sicht von Bürgerinitiativen und Umweltverbänden gibt es erhebliche Zweifel, ob diese von Fa. Brenk Systemplanung in Aachen in amtlichem Auftrag erstellten Berechnungen tatsächlich ausreichend die Realität abbilden, zumal sehr viele Annahmen über das Verhalten von Menschen im Alltag und bei der Ernährung angenommen werden, die gar nicht wirklich abgeschätzt werden können. Solche Mängel des Konzepts haben auch dazu
geführt, dass für die ebenfalls von Atomanlagenschutt betroffene Deponie in Schwieberdingen auf einmal nichts mehr gepasst hat, es war nämlich übersehen worden, dass schon vor Jahren das Nachnutzungskonzept der Deponie geändert worden war. Die Berechnungen wurden dann notdürftig „geflickt“, um es wieder passend zu machen.
Ebenso gibt es ernsthafte Zweifel an der Annahme der internationalen Strahlenschutzkommission, auf die das 10 μSv-Konzept zurückgeht, dass eine zusätzliche jährliche Strahlenbelastung von 10 μSv pro Jahr „nur“ zu einigen wenige zusätzlichen Toten pro 10 Mio. Einwohner führe. Es gibt leider starke Argumente für einen höheren Schaden.
Die Umsetzung des 10 μSv-Konzepts in das Strahlenschutzrecht sieht so aus:
wenn stichprobenweise erfolgte Messungen an dem Material ergeben, dass bestimmte Ausmaße an natürlicher und künstlicher radioaktiver Strahlung pro Gramm des Materials nicht überschritten werden, dann wird von Amts wegen aufgrund der Berechnungen der Fa. Brenk angenommen, dass davon kein Mensch mehr als 10 μSv an zusätzlicher jährlicher Strahlung abbekommen kann.
„Stichprobenweise“ ist hier doppelt zu sehen: erstens wird nicht das ganze Material gemessen, zweitens werden nicht alle Isotope gemessen, sondern nur eine als „abdeckend“ angenommene kleine Anzahl, der so genannte Nuklidvektor. Insbesondere die bei Aufnahme in den Körper besonders schädlichen Alpha- und Beta-Strahler werden nicht wirklich erfasst.
Aus unserer Sicht ist auch fraglich, wie man von Grenzwerten auf pro-Gramm-Basis auf eine Abschätzung der tatsächlichen Belastung kommen will, weil diese ja von der Gesamtmasse abhängt. Dies kann auch Fa. Brenk nicht ausreichend berücksichtigt haben, weil sich bezüglich der Rückbauprozesse und bezüglich der gleichzeitig in den Rückbau
gehenden Anlagen in den letzten Jahren ständig Änderungen ergeben haben.
Eine spezifische Freigabe zur Deponierung ist in § 36 der Strahlenschutzverordnung geregelt, mit Verweis auf die Grenzwerte in deren Anlage 4, Tabelle 1 in verschiedenen Spalten sowie auf weitere Festlegungen in Anlage 8.
Siehe: https://www.gesetze-im-internet.de/strlschv_2018/__36.html
https://www.gesetze-im-internet.de/strlschv_2018/anlage_4.html
https://www.gesetze-im-internet.de/strlschv_2018/anlage_8.html
Es ergibt sich insbesondere aus der langen Liste in Anlage 4, dass auch eindeutig aus dem atomtechnischen Betrieb stammende, künstliche, strahlende Istope im Freigabemüll enthalten sein dürfen.
Und solches Material soll nun oberhalb von Maulbronn und oberhalb der Seen des Weltkulturerbe abgelagert werden, in einer Deponie, für deren Dichtigkeit auf Dauer niemand garantieren kann.
Die EnBW, und die für die Karlsruher Atomanlagen Verantwortlichen, und das Umweltministerium haben mit Sicherheit Erkenntnisse, bei wie viel Prozent des für zur Deponierung vorgesehenen Materials tatsächlich künstliche, also aus den Atomanlagen stammende Radioaktivität zu erwarten ist, und bei wie viel Prozent keine andere als die
natürlich vorhandene Radiaktivität gefunden wurde bzw. noch zu erwarten ist. Warum wird dieses Wissen nicht offen gelegt?
Beachten Sie bitte, dass es neben der „spezifischen Freigabe“ vor allem auf Deponien, um die es heute im Kreistag geht, noch die „uneingeschränkte Freigabe“ gemäß § 35 der Strahlenschutzverordnung gibt. Die entsprechenden Mengen / Massen an Freigabematerial, vor allem Beton, Metalle, und Gebäude, liegen um ein vielfaches höher als die der spezifischen Freigabe. Dieses Material darf trotz restlicher Strahlung ohne jede weitere Kontrolle, und sogar ohne jede Nachverfolgung und damit auch ohne jede Information der betroffenen Menschen, in die allgemeine Wirtschaft eingeschleust werden, und kann somit in Alltagsgegenständen und im Baumaterial für Hoch- und Tiefbau landen. Ein Teil davon wird auch auf allgemeinen Deponien landen, ohne dass jemand die Herkunft erfährt. Nach einer älteren Schätzung des niedersächsischen Umweltministeriums könnten für jede Tonne AKW-Abriss, die wissentlich aus „spezifischer Freigabe“ auf einer Deponie landet, weitere etwa 1,5 Tonnen AKW-Abriss aus „uneingeschränkter Freigabe“ auf praktisch beliebige Deponien kommen. Das kann kein Deponiebetreiber verhindern.
Die derzeitige Rechtslage mit dem Instrument der Freigabe, und noch verschärft mit der seit wenigen Jahren zusätzlich geltenden Vorschrift, dass die Freigabe zwecks Kostenvermeidung maximal einzusetzen ist statt einer sachgerechten Behandlung als schwach radioaktiven Atommüll, ist mit einem verantwortlichen Schutz von Natur und Umwelt nicht vereinbar.
Für einen echten Schutz muss die Freigabe abgeschafft werden. Es wurden Konzepte erarbeitet, wie stattdessen mit dem Abrissmüll aus den Kontrollbereichen der Atomanlagen umgegangen werden könnte, Diese Vorgehensweisen wären nicht billig, würden aber dem Verursacherprinzip und dem Vorsorgeprinzip gerecht. Weitere Infos gibt es hier: https://atomerbe-neckarwestheim.de/artikel/132-deponie
Wir empfehlen dem Kreistag des Enzkreises, die Vereinbarung über die Anlieferung von mineralischen Abfällen aus dem Landkreis Karlsruhe bezüglich Annahme freigegebener Abfälle auf der Deponie Hamberg, abzulehnen, und sich mit uns für eine Abschaffung der Freigabe einzusetzen.

Pressemitteilung: Dringender Umbau des Strommarktes nötig

Zum „Gemeinsamen Beschluss zu energie- und industriepolitischen Themen“ der 6 südlichen Minsterpräsident/inn/en Dringender Umbau des Strommarktes nötigDie südlichen Bundesländer sind weiter die Geisterfahrer der Energiewende


Heute haben die Minsterpräsident/inn/en der 6 südlichen Bundesländer Forderungen beschlossen,
die kurzfristige Interessen der Energie-Großverbraucher über Klimaschutz und Energiewende stellen. Damit setzt sich die Energiewende-Blockade insbesondere von Baden-Württemberg und Bayern fort.

Energie-Großverbraucher werden seit Jahrzehnten massiv begünstigt zu Lasten der Kleinverbraucher
und der Steuerzahler/innen, indem sie bei nahezu allen Anteilen der Stromkosten und weiterer Energiekosten große Nachlässe bekommen. Damit werden das Verursacherprinzip, der Markt und die ökologische Steuerwirkung ausgehebelt, zum Schaden des Gemeinwohls.

Besonders schädlich ist hierbei die deutschlandweit einheitliche Strompreiszone, wodurch Strom an
der Strombörse völlig abgekoppelt von physikalischer Realität und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gehandelt wird, was zu absurden und teuren Folgen führt, insbesondere zu Redispatch-Situationen und zu künstlichen Stromengpässen. Wir kennen die wiederholten Fälle in den letzten Monaten, wenn uns weis gemacht wurde: „Strommangel durch Stromüberschuss“. Nicht fehlende Leitungen waren das Problem, sondern das falsche Strommarktdesign mit seinen Fehl-Allokationen. Zu Recht fordern sowohl die EU als auch die nördlichen Bundesländern, diesen energetischen und wirtschaftlichen Unsinn zu beenden und endlich auch in Deutschland mehrere Strompreiszonen einzurichten. Aber die besonders in Stuttgart und München sitzenden Bremser der Einergiewende beharren auf den Irrweg, der immer weiter weg von Energiewende und Klimaschutz führt.

Dies gilt auch für die die meisten der weiteren Forderungen des heutigen
Beschlusses, die hier kurz kommentiert werden:


„a. die Forcierung des Ausbaus der erneuerbaren Energien“: notwendig, mit Riesentempo.


„b. die Gewährleistung eines deutschlandweiten schnellen und zielgerichteten Wasserstoff-Hochlaufs“:
riskante Vermischung des Gas- und des Wasserstoffthemas. Dazu wird die bei Wasserstoff als Energietransporteur und -speicher liegende Chance in gefährlicher Weise überschätzt. Da braucht es mehr Ehrlichkeit und keine Seifenblasen.


„c. die zeitnahe Umsetzung der Maßnahmen zur Beschleunigung des Ausbaus der Stromüber
tragungsnetze durch die Bundesnetzagentur“: Ausbau der Verteilnetze ist nötig, Ausbau der Übertragungsnetze ist eine teure Sackgasse. Die Selbstbedienungsmentalität der Übertragungsnetzbetreiber muss gebremst, nicht noch befördert werden.

„d. den Erhalt der liquiden deutschen Strompreiszone“: falsch, siehe oben.

„e. die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen für einen zeitnahen und netzdienlichen Zubau von
wasserstofftauglichen Gaskraftwerken“: Etikettenschwindel, nutzlos für die Energiwende.


„f. die Verbesserung der wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen bei Speichern“:
dringend notwendig, längst überfällig.


„g. die Einführung eines wettbewerbsfähigen und nachhaltigen Industriestrompreises“: nein,
Energiekosten müssen verursachergerecht anfallen, kein weiteres Sponsoring der Großverbraucher durch Steuerzahler/innen und Kleinverbraucher.


„h. den Erhalt eines angemessenen Einflusses der Länder in Regulierungsfragen“: aber nicht zum
Vorteil einzelner Regionen zu Lasten der anderen.


Angesichts von Klimakatastrophe, Energiekrise und fehlender Nachhaltigkeit bestehen größte
Herausforderungen, eine gute Zukunft zu schaffen.
Daran müssen sich die Ministerpräsident/inn/en der südlichen Bundesländer messen lassen. Mit dem heutigen Beschluss werden sie dieser Aufgabe nicht gerecht, im Gegenteil verfestigen sie überkommene Strukturen.

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